LSG Niedersachsen-Bremen L 9 409/06 ER

LANDESSOZIALGERICHT NIEDERSACHSEN-BREMEN

L 9 AS 409/06 ER

S 23 AS 148/06 ER (Sozialgericht Hildesheim)

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

1. A.,
2. B.,
Antragsteller und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: Rechtsanwälte C.,

gegen

Job-Center Hildesheim, vertreten durch die Geschäftsführung,
Am Marienfriedhof 3, 31134 Hildesheim,

Antragsgegner und Beschwerdegegner,

hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 11. September 2006 in Celle durch seine Richter Hollo -Vorsitzender -, Hübschmann und Thommes beschlossen:

Der den einstweiligen Rechtsschutz versagende Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. Juni 2006 wird aufgehoben. Der Beschwerdegegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Beschwerdeführern einmalige Beihilfen für die Auszugsrenovierung sowie für die Einzugsrenovierung zu gewähren.

Der Beschwerdegegner hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer zu tragen.

Den Beschwerdeführern wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe gewährt.


GRÜNDE

I.
Die Beteiligten streiten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren um die Gewährung einmaliger Beihilfen für Renovierungen anlässlich des Wohnungswechsels der Beschwerdeführer. Die Beschwerdeführer stehen seit Anfang 2005 im laufenden Bezug von Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch -Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bei dem Beschwerdegegner. Ursprünglich lebten sie in der Wohnung D. Straße 53 in E.. Die Wohnung hatte 75 qm Wohnfläche. Der Beschwerdegegner wies die Beschwerdeführer darauf hin, die Wohnung sei nach den Maßstäben des SGB II unangemessen. Er forderte sie auf, die Unterkunftskosten zu senken.

Aus einem Vermerk im Verwaltungsvorgang des Beschwerdegegners ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin zu 1. bereits am 31. Oktober 2005 und erneut am 2. Januar 2006 an den Beschwerdegegner wandte und darum bat, anlässlich ihres bevorstehenden Umzugs anfallende Renovierungskosten sowohl in der alten als auch in der nunmehr zu beziehenden Wohnung in der F. 14, E. (60 qm Wohnfläche) zu übernehmen. Aus dem Vermerk ist weiter zu entnehmen, dass dieses Begehren jeweils mündlich abgelehnt wurde. Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Januar 2006 wandte sich die Beschwerdeführerin zu 1. erneut an den Beschwerdegegner und legte Widerspruch gegen diese abschlägige Entscheidung ein. Die Beschwerdeführerin zu 1. ließ mitteilen, sie sehe einer Abhilfeentscheidung bis zum 25. Januar 2006 entgegen. Nachdem keine Entscheidung des Beschwerdegegners ergangen war, wandte sich die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10. Februar 2006 (eingegangen am 13. Februar 2006) an das Sozialgericht (SG) Hildesheim und ersuchten um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.


Zur Begründung ihres Begehrens wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, ihnen stünden nicht ausreichend bare Mittel zur Verfügung, um den entstandenen Renovierungsbedarf begleichen zu können. Sie seien nunmehr darauf angewiesen, die Mittel aus den ihnen zufließenden regelmäßigen Leistungen nach dem SGB II zu entnehmen.

Der Umzug wurde am 8. Februar 2006 durchgeführt.

Das SG hat den einstweiligen Rechtsschutzantrag mit Beschluss vom 29. Juni 2006 abgelehnt. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, der Umzug sei mittlerweile durchgeführt worden. Daher sei die Sache nicht mehr eilbedürftig. Es müsse nunmehr in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob die Beschwerdeführer einen Anspruch gegen den Beschwerdegegner hätten, ihre Renovierungskosten zu übernehmen.

Gegen den am 3. Juli 2006 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer am 7. Juli 2006 Beschwerde eingelegt. Zu dessen Begründung nehmen sie auf ihren erstinstanzlich gestellten Antrag Bezug und weisen weiter darauf hin, das SG habe fast fünf Monate für den abweisenden Beschluss gebraucht. Die Notlage der Beschwerdeführer sei erst nach dem 10. Februar 2006 eingetreten, weil diese die Renovierungsarbeiten aus der Regelleistung bestritten hätten.

Die Beschwerdeführer beantragen (sinngemäß),

1.
den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. Juni 2006 aufzuheben,
2.
den Beschwerdegegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen eine einmalige Beihilfe für die abgeleisteten Renovierungsarbeiten zu gewähren.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf den erstinstanzlichen Beschluss und weist erneut darauf hin, es sei keine Eilbedürftigkeit erkennbar.

Zur Ergänzung des Sach-und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beschwerdegegners Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Die Beschwerdeführer haben die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) glaubhaft gemacht. Ihnen steht nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich ein Anspruch aus § 22 SGB II auf die Gewährung der von ihnen begehrten Renovierungsbeihilfen zu.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweiligen Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch der materielle Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht werden.

Vorliegend haben die Beschwerdeführer zunächst die Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft gemacht. Sie stehen im laufenden Bezug von Leistungen zur Existenzsicherung nach § 19 ff SGB II. Daher stehen ihnen keine laufenden Einkünfte oder Vermögen zur Verfügung, welches sie für den geltend gemachten Bedarf einsetzen könnten. Die Beschwerdeführer haben im laufenden Verfahren auch von Beginn an geltend gemacht, der Bedarf sei entstanden und anlässlich des Umzugs auch von ihnen befriedigt worden. Dies führt indessen nicht – wie das SG angenommen hat – dazu, dass der Anordnungsgrund hier im Laufe des Verfahrens entfallen wäre. Die Beschwerdeführer haben nämlich gleichzeitig geltend gemacht, sie hätten die notwendigen Geldmittel aus der Regelleistung nach dem SGB II gedeckt. Dies führt, so versteht der Senat den Vortrag der Beschwerdeführer, dazu, dass die Beschwerdeführer nunmehr auf Dauer derart in einer wirtschaftlichen Notlage sind, dass ihnen die zufließenden Leistungen zunächst nicht zur Existenzsicherung, sondern zur Deckung eines Defizits dienen. Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Auffassung, dass die Notlage der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung (am 10. Februar 2006) vorhanden war und im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch vorhanden ist. Deckt der Hilfebedürftige den geltend gemachten Bedarf erst nach Antragstellung, aber noch während eines laufenden Widerspruchs-oder Klageverfahrens, so bleibt diese Bedarfsdeckung außer Betracht (vgl. hierzu Wieland in Estelmann, Herausgeber, SGB II, § 22 Rdnr. 48 unter Hinweis auf die noch zum Sozialhilferecht ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 1994, 5 C 26.92).

Die Beschwerdeführer haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung aus § 22 SGB II.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei den geltend gemachten Kosten nicht um „Umzugskosten“ i. S. von § 22 Abs. 3 SGB II handelt. Nach dieser Vorschrift können Wohnungsbeschaffungskosten sowie Mietkautionen und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden. Eine derartige Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Der Begriff Wohnungsbeschaffungskosten ist zwar weit auszulegen (vgl. hierzu Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rdnr. 83). Unter Wohnungsbeschaffungskosten werden indessen nur die Aufwendungen verstanden, die mit dem Finden und Anmieten einer Wohnung verbunden sind (vgl. Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rdnr. 26). Die hier streitgegenständlichen Renovierungskosten dienten aber nicht der Erlangung einer neuen Wohnung, wie sie vom Beschwerdegegner veranlasst worden war. Dies ergibt sich hinsichtlich der Auszugsrenovierung ohne weiteres. Aber auch die Kosten für die Einzugsrenovierung dienen letztlich nicht der Erlangung der Wohnung. Sie haben vielmehr die Funktion, die neu angemietete und jetzt – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – angemessene Wohnung für die Belange der Leistungsberechtigten herzurichten.

Sowohl die Auszugsrenovierung als auch die im Zuge des Einzugs notwendigen Renovierungsarbeiten gehören nämlich direkt zum Unterkunftsbedarf i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Norm werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Kosten für Schönheitsrenovierungen sind im angemessenen Umfang zu übernehmen, wenn sie vertraglich vereinbart sind (vgl. Gerenkamp in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 22 SGB II, Rdnr. 20). Die angemessenen Unterkunftskosten i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II umfassen nämlich nicht nur die laufenden Kosten, sondern auch einmalige Aufwendungen, die mit Bezug, Unterhaltung und Wechsel der Unterkunft zusammenhängen (Rothkegel in Gagel, SGB III zu § 22 SGB II Rdnr. 57; Berlit in LPK SGB II, § 22 Rn 18 -so auch schon zum Sozialhilferecht Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. April 1992, 5 C 26/88 a. A. offenbar Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn 27, der derartige Kosten zu den Umzugskosten rechnen will, hierfür indessen keine Begründung gibt). Die sach-und fristgerechte Durchführung von Schönheitsreparaturen, wozu auch die Auszugsrenovierung rechnet, wird mietvertraglich geschuldet. Hierfür entstehende Aufwendungen rechnen zu den Kosten der Unterkunft. Der Gewährung einer einmaligen Beihilfe steht auch nicht entgegen, dass der nach § 20 SGB II gewährte Regelsatz in geringem Umfang Kosten für Reparaturen enthält. Die insoweit enthaltenen Posten im Regelsatz sind nämlich bei weitem nicht ausreichend, um die erforderlichen, turnusmäßig geschuldeten Schönheitsreparaturen – selbst bei Eigenvornahme – zu finanzieren (vgl. hierzu eingehend Berlit in NDV 2006, 5,12, 15, a. A. Wieland in Estelmann, Hrsg., SGB II, § 22 Rn 53).

Dem kann dem Beschwerdegegner nicht entgegen halten, die Beschwerdeführer seien vertraglich nicht verpflichtet gewesen, eine Auszugsrenovierung vorzunehmen. Aus dem von den Beschwerdeführern vorgelegten Mietvertrag vom 7. August 1997 ergibt sich nämlich das Gegenteil. Nach § 8 dieses Mietvertrages waren die Beschwerdeführer nämlich sehr wohl verpflichtet, eine Auszugsrenovierung vorzunehmen. Nach § 8 Abs. 3 des Mietvertrages hatten sie die Möglichkeit, durch Selbstvornahme der notwendigen Renovierungsarbeiten dafür zu sorgen, dass eine teurere Renovierung durch einen Fachbetrieb unterbleibt. Durch ihr Vorgehen haben sie also dafür Sorge getragen, dass der Beschwerdegegner von weiteren Kosten verschont bleibt. Die vorstehenden Ausführungen zur Auszugsrenovierung gelten im Wesentlichen auch für die Einzugsrenovierung. Auch derartige Aufwendungen rechnen im angemessenen Umfang zu den Kosten der Unterkunft (vgl. erneut Rothkegel a.a.O.; a.A. Gerenkamp in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 22 SGB II, Rdnr. 20, der eine Anfangsrenovierung unter § 22 Absatz 3 SGB II subsummiert, aber hierfür keine ins Einzelne gehende Begründung gibt, die sich mit dem Wortlaut -„zur Erlangung“ – auseinander setzt; vgl. auch Berlit in LPK SGB II, § 22 Rn 61,64, aber auch Rn 18, soweit die Einzugsrenovierung vertraglich geschuldet ist). Insoweit werden die Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner im Einzelnen glaubhaft zu machen haben, welche Kosten ihnen für das Bewohnbarmachen der neuen Wohnung im Einzelnen entstanden sind und welche dieser Kosten unumgehbar waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.

Dem Beschwerdeführern war für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens in Anwendung von § 73 a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Der Beschluss ist für die Beteiligten in Anwendung von § 177 SGG nicht anfechtbar.


Hollo Hübschmann Thommes