Wegfall des Räumungsanspruch bei medikamentöser Behandlung eines psychisch kranken Mieters (LG Hamburg 316 S 127/05)

LG Hamburg Urteil vom 20.12.2005, 316 S 127/05

Wohnungskündigung wegen Hausfriedensstörung: Wegfall des Räumungsanspruchs bei möglicher Verhinderung künftiger Ruhestörungen durch medikamentöse Behandlung des psychisch kranken Mieters

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.


2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.


3. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 30.6.2006 eingeräumt.


4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird verwiesen (§ 540 I 1 ZPO).


Der Beklagte verfolgt mit seiner Berufung weiter die Abweisung der Klage. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag erster Instanz und wendet sich mit seiner Berufung gegen die Interessensabwägung und die negative Prognose des Amtsgerichts. Der Beklagte beruft sich darauf, dass die von ihm ausgehenden Störungen auf einer schweren psychischen Erkrankung beruhen (florierende Psychose) und das durch eine Behandlung mit intensiver Medikamentierung sichergestellt werden kann, dass es zu zukünftigen Störung nicht mehr kommt.


In der zwischen den Parteien geführten Vorkorrespondenz und der von der Klägerin an dem Beklagtenvertreter angetragenen Bitte vom 14. Juni 2005, dafür zu sorgen, dass die Lärmstörungen des Beklagten unterbunden werden und um Ergreifung von Maßnahmen zur Eindämmung des Verhaltens des Beklagten, hat der Beklagtenvertreter und Betreuer mit Schreiben vom 23.06.2005 darauf hingewiesen, dass er keine Möglichkeit habe den Beklagten "ständig zu überwachen und in seinem Tagesablauf zu leiten".


Der Beklagte beantragt,


das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom 5.08.2005 - Geschäftsnummer - 816 C 259/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.


Die Klägerin beantragt,


die Berufung des Beklagten zurückzuweisen


II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.


Mit zutreffenden Erwägungen hat das Amtsgericht die Voraussetzungen des §§ 543 I, 569 II BGB bejaht und den Beklagten zur Räumung verurteilt. Auf die Lärmprotokolle (Anlage K6 und K7) und die damit belegten Ruhestörungen, die in der 2. Instanz unstreitig gestellt sind, wird verwiesen. Diese reichen aus, um eine nachhaltige Störung des Hausfriedens anzunehmen, was auch der Beklagte selbst nicht in Abrede stellt.


Zu Unrecht rügt der Beklagte die Interessenabwägung durch das Amtsgericht, die keinen Bedenken begegnet. Mit seiner Rüge stützt sich der Beklagte im Wesentlichen nur auf Ereignisse (Einnahme von Medikamenten die die ärztliche Behandlung), die nach der von der Klägerin ausgesprochenen fristlosen Kündigung liegen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob das Verhalten nach der Kündigung, mithin eine zukünftige positive Prognose dazu führen kann, dass der Räumungsanspruch, der aus der fristlosen Kündigung resultiert, entfällt (ablehnend hierzu Schmidt-Futterer, 8. Aufl. 2003, § 569 Rz.30 m.w. N.). Letztlich kann aber dahinstehen, ob die von dem Beklagten dargelegte Medikamenteneinnahme zukünftige Lärmbelästigungen ausschließen würde und zu einer möglicherweise positive einzuschätzen Prognose führen könnte. Denn aus dem Vortrag des Beklagten ergibt sich nicht, dass sichergestellt wäre, dass der Beklagte sich zukünftig ruhig verhalten werde.


Nach dem Attest des Klinikums Nord vom 13.8.2005 ist Voraussetzung für weiteres Wohlverhalten des Beklagten, dass die medikamentöse Behandlung zumindest ambulant weitergeführt wird. Aus dieser Möglichkeit der medikamentösen Substituierung des Beklagten ergibt sich indes keine gesicherte positive Prognose. Denn die Wirksamkeit der Medikamente setzt auch nach dem Vortrag des Beklagten voraus, dass die Einnahme derselben zuverlässig und pünktlich erfolgt. Aus der Vorgeschichte ergibt sich jedoch, dass diese Weiterführung der medikamentösen Behandlung durch den Beklagten allein nicht sichergestellt ist. Dieser hatte bereits im Jahr 2003 in die Medikamente selbständig abgesetzt und war in der Folge wiederum auffällig geworden. Ausweislich des Schreibens des Betreuers und Beklagtenvertreters vom 23.06.2005 besteht keine Möglichkeit, den Beklagten ständig zu überwachen und in seinem Tagesablauf zu leiten, so dass auch von einer Gewährleistung der regelmäßigen Medikamenteneinnahme durch den Beklagten nicht ausgegangen werden kann. Dieser Umstand reicht jedoch aus, um auch eine - mögliche - positive Prognose durch Medikamenteneinnahme seitens des Beklagten im Ergebnis auf den konkreten Fall bezogen entfallen zu lassen, zumal der Beklagte auch durch sein Verhalten am 13.10.2005 (Geschenke vor der Tür der Zeugin R) zum Ausdruck gebracht hat, dass er - auch wenn diese Geste gut gemeint gewesen sein mag- den gebotenen Abstand zu den anderen Mietvertragsparteien immer noch nicht einhält.


Damit verbleibt es aber trotz der bei psychisch Kranken gebotenen sozialadäquaten Rücksichtnahmepflicht (Schmidt-Futterer, 8. Aufl. 2003, § 569 Rz. 20) bei der Unzumutbarkeit. Nach alledem kommt es auf die Beweisangebote des Beklagten durch Sachverständige und die behandelnden Ärzte nicht an.


Soweit der Beklagte sich auf sein mangelndes Verschulden stützt, hat das Amtsgericht Hamburg-Barmbek zu Recht ausgeführt, dass diese nicht Voraussetzung für die Kündigung ist (vgl. Schmidt-Futterer aaO.; § 569 Rz. 21). Auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts wird verwiesen.


Im Hinblick auf das jetzige Wohlverhalten unter Medikamenteneinnahme des Beklagten bestand jedoch die Möglichkeit, die Räumungsfrist noch bis zum 30.6.2006 zu verlängern, § 721 Abs. 1 ZPO. Hiervon macht die Kammer Gebrauch.


Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.


Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert - § 543 Abs. 2 ZPO.