Erstattung der Kosten für Schülermonatskarte (SG Detmold Az.: S 12 AS 126/07)


Sozialgericht Detmold
S 12 AS 126/07
09.04.2010

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2007 in der Gestalt des Wider­spruchsbescheides vom 01.08.2007 verurteilt, den Klägern zu 1) und 2) Fahrtkosten für den Schulbesuch der S-Gesamtschule der Stadt T ab Februar 2010 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt 1/9 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für eine Schülermonatsfahrkarte im Rah­men des Besuchs der gymnasiale Oberstufe streitig.

Die am 00.00.1989 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, be­stehend aus ihrem Vater P I und dem 1994 geborenen Bruder G I. Sie stehen im laufenden Be­zug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und besuchen seit Be­ginn des Schuljahrs 2007/2008 die Jahrgangsstufe 11 der S-Gesamtschule der Stadt T, die ca. 4,8 km vom Wohnort der Kläger, X Straße 0 in T, entfernt ist. Am 14.05.2007 beantragte der Vater der damals noch minderjährigen Kläger bei der Stadt T die Übernahme von Schülerfahrtkosten in Form von Schülerwegkarten für seine Söhne. Die Stadt T lehnte diese Anträge mit Bescheid vom 25.06.2007 ab, weil der Schulweg die beim Besuch der Sekundarstufe II erforderliche Entfernung von 5 km unterschreite. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Stadt T mit Wider­spruchsbescheid vom 04.07.2007 zurück und die nachfolgende Klage wies das Verwaltungsge­richt Minden mit Urteil vom 14. Januar 2008 (Az 2 K 1489/07) ab. Über das hiergegen eingelegte Rechtsmittel hat das Oberverwaltungsgericht bisher noch keine Entscheidung getroffen.

Am 13.06.2007 beantragte der Vater der Kläger zu 1) und 2) zudem die Übernahme der Kosten für die Anschaffung einer Monatsfahrkarte ab dem 10. Schuljahr bei der Beklagten.

Diese lehnte den Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.06.2007, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 01.08.2007 ab und führte hierzu im Wesentlichen aus, die Kläger sei­en gehalten, die Fahrtkosten aus der Regelleistung zu bestreiten, da diese Bestandteil des Re­gelbedarfs seien. Eine gesonderte Erstattung der Kosten könne nicht erfolgen. Diese gehörten nicht zu den Mehrbedarfen nach § 21 SGB II oder den gesondert zu erbringenden Kosten nach § 23 SGB II, da sie in den dortigen abschließenden Aufzählungen nicht aufgeführt seien. Könne ein im Einzelfall von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden, bestehe die Möglichkeit, ein entsprechendes Darlehen zu beantragen.

Hiergegen richtet sich die am 27.08.2007 erhobene Klage, mit der die Kläger zu 1) und 2) weiter­hin die Übernahme der Kosten für eine Schülermonatsfahrkarte begehren. Zur Begründung tra­gen sie vor, die Beklagte könne sie nicht auf den Regelsatz verweisen, da hierin nur ein geringer Betrag für die Mobilität vorgesehen sei. Insbesondere enthalte dieser nicht Kosten für den tägli­chen Schulbesuch. Die Fahrt mit dem Bus würde monatlich 39,80 EUR verursachen. Für beide Kläger seien dies insgesamt 875,60 EUR im Jahr. Ein solcher Betrag könne nicht aus dem Regel­satz finanziert werden. Mit dem Schulträger der S-Gesamtschule der beigeladenen Stadt T, sei gesprochen worden. Sie lehne die Kostenübernahme ab, da der Schulweg lediglich 4,8 km betra­ge und nicht 5 km, wie nach der Schülerfahrkostenverordnung erforderlich. Es sei in der heutigen Zeit nicht üblich und eine zusätzliche besondere Härte, wenn Schüler bei jedem Wetter ca. 10 km Fußweg täglich bewältigen müssten. Dasselbe gelte für die Benutzung von Fahrrädern. Sie kämen durchnässt und müde in der Schule an und müssten nach zum Teil 9 Stunden Unterricht noch 5 km stramm bergauf nach Hause fahren oder schieben. Zudem sei der der Messung zu­grunde gelegte Schulweg zum täglichen Gebrauch für Radfahrer nicht geeignet. Der Schwerlast­verkehr aus Richtung X rase bei jedem Wetter mit viel zu hoher Geschwindigkeit praktisch mit Tuchfühlung an den Passanten vorbei. Diese würden verschmutzt und gefährdet. Regen, Glätte und Dunkelheit erhöhten das Risiko. Der als Radweg in Betracht kommende Weg sei daher län­ger als 5 km. Zur weiteren Begründung überreichen die Kläger zu 1) und 2) unter anderem eine Unterschriftenliste zur Verkehrssicherheit an der X Straße im Abschnitt O-straße sowie Schreiben der Kreispolizeibehörde Herford vom 28.04.2003 und 09.07.2007.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchs­bescheides vom 01.08.2007 zu verurteilen, die Fahrtkosten für den Schulbesuch seit Juni 2007 zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die Bestimmungen des SGB II sähen die Übernahme der Fahrtkosten für den Schulbesuch nicht vor, sodass keine Möglichkeit zu deren Gewährung bestehe. Auch könne ein Anspruch der Kläger nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (Az. 1 BVL 1/09, 1 BVL 3/09 und 1 BVL 4/09) hergeleitet werden. Ein Härtefall im Sinne dieser Entscheidung sei hier nicht gegeben. Die Nutzung eines kostenpflichtigen öffentlichen Verkehrsmittels (Schul­bus) sei hier nicht zwingend notwendig. Bereits das Verwaltungsgericht Minden habe in seinem Urteil vom 14.01.2008 (Az. 2 K 1489/07) ausgeführt, dass eine objektive Gefährlichkeit für die Be­nutzung des Schulwegs per Fahrrad nicht gegeben sei. Den Klägern sei es nicht gelungen, im vorliegenden Verfahren eine nicht hinnehmbare Gefahr und die damit einhergehende Notwendig­keit der Nutzung eines Schulbusses nachzuweisen. Die subjektiven Empfindungen der Kläger könnten hier nicht dazu führen, dass der Steuerzahler weiter belastet werde.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an und verweist darauf, dass im Hinblick auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.10.2009 (Az. B 14 AS 44/08 R) eine Übernahme der Fahrtkosten aus Sozialhilfemitteln nicht in Betracht komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsak­te und den der Verwaltungsakte der Beklagten, sowie des ebenfalls beigezogenen Urteils des Verwaltungsgerichts Minden vom 14. Januar 2008 (Az. 2 K 1489/07), der Gegenstand der münd­lichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet, soweit die Kläger zu 1) und 2) die Gewährung von Fahrtkosten für den Schulbesuch der S-Gesamtschule der Stadt T ab Februar 2010 begehren. Darüber hin­aus ist die Klage unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 19.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 ist rechtswidrig und beschwert die Kläger zu 1) und 2) in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, soweit die Beklagte ab Februar 2010 weiterhin die Gewährung von Fahrtkos­ten für den Schulbesuch ablehnt; soweit diese Fahrtkosten vor dem Februar 2010 seitens der Be­klagten nicht getragen wurden, ist der Bescheid dagegen rechtmäßig, da den Klägern insoweit keine Anspruchsgrundlage zur Seite steht.

Ein Leistungsanspruch der Kläger zu 1) und 2) ergibt sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes(GG) in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG. Danach begründet Artikel 1 Abs. 1 GG den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag,. jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unaus­weichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums ver­bunden sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09.02.2010, Az. 1 BVL 1/09, 1 BVL 3/09, 1 BVL 4/09). Der Staat hat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Dabei erstreckt sich der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenz­minimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen (Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit), als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Min­destmaß zur Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (Bundesverfassungsgericht a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen verweist das Bundesverfassungsgericht zu Recht darauf, dass es mit Artikel 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG unverein­bar ist, dass im Sozialgesetzbuch Zweites Buch eine Regelung fehlt, die einen Anspruch auf Leis­tungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unab­weisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs vorsieht. Ein solcher ist für den­jenigen Bedarf erforderlich, der nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt wird, weil die Ein­kommens- und Verbraucherstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbe­darf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, be­sonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Es ist nachvollziehbar, wenn das Bundesver­fassungsgericht darauf verweist, dass ein pauschaler Regelleistungsbetrag nach seiner Konzepti­on nur den durchschnittlichen Bedarf decken kann. Der nach dem Statistikmodell ermittelte Fest­betrag greift auf eine Einkommens- und Verbraucherstichprobe zurück, die nur diejenigen Ausga­ben widerspiegelt, die im statistischen Mittel von der Referenzgruppe getätigt werden. Ein in Son­derfällen auftretender Bedarf nicht erfasster Art oder atypischen Umfangs wird von der Statistik nicht aussagekräftig ausgewiesen. Auf ihn kann sich die Regelleistung folglich nicht erstrecken. Artikel 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs.1 GG gebietet jedoch, auch einen unabweis­baren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf zu decken, wenn dies im Einzelfall für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich ist.

Dies wird durch die Gesamtheit der Regelungen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch nicht in vollem Umfang sichergestellt. So betrifft § 21 SGB II lediglich bestimmte, abschließend aufge­zählte Bedarfslagen. Durch die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs. 1 SGB II wiederum können nur vorübergehende Spitzen besonderen Bedarfs aufgefangen werden. Zur Deckung ei­nes dauerhaften besonderen Bedarfs ist die Gewährung eines Darlehens hingegen ungeeignet (vgl. auch BSGE 97, 242 (248 ff. Rdnr. 30)). Auch § 73 SGB XII bietet in der Auslegung, die er durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gefunden hat, keine Gewähr, dass sämtli­che atypische Bedarfslagen berücksichtigt werden. Das Bundessozialgericht hat einen solchen Bedarf, worauf an anderer Stelle des Urteils noch einzugehen ist, der die Anwendung des § 73 SGB XII rechtfertigt, bislang nur für Kosten angenommen, die einem geschiedenen Elternteil zur Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit entfernt lebenden Kindern entstehen (vgl. BSGE 97, 249 ff., Rdnr. 21 ff.). Im Übrigen ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob und in wel­chen Fällen zusätzliche Leistungen nach § 73 SGB XII in Betracht kommen können. Für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und der genannten zusätzlichen Hilfen enthält das Sozialgesetzbuch Zweites Buch also keinen Anspruch des Hilfebedürftigen. Zum anderen weist das Bundesverfassungsgericht zu Recht darauf hin, dass die Regelleistungen des § 20 SGB II nicht denjenigen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisba­ren Bedarf zu erfassen vermag, der zwar seiner Höhe nach berücksichtigt wird, dies jedoch nur in durch-schnittlicher Höhe. Tritt in Sondersituationen ein höherer überdurchschnittlicher Bedarf auf, erweist sich die Regelleistung als unzureichend. Deshalb bedarf es neben den in §§ 20 ff. SGB II vorgegebenen Leistungen noch eines zusätzlichen Anspruchs auf Leistungen bei unabweisba­rem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf zur Deckung des menschenwürdi­gen Existenzminimums. Er entsteht erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsum­me der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Exis­tenzminimum nicht mehr gewährleistet.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, bis spätestens zum 31. Dezember 2010 eine Regelung im Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu schaffen, die sicherstellt, dass besonderer Bedarf im vorgenannten Sinne gedeckt wird; allerdings müssen die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten, bei denen ein derartiger besonderer Bedarf vorliegt, auch vor der Neuregelung die erforderlichen Sach- oder Geldleistungen erhalten, da andernfalls eine Verlet­zung von Artikel 1 Abs. 1 GG vorläge, die auch nicht vorübergehend hingenommen werden kön­ne. Aus diesem Grunde ist für die Zeit ab der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsge­richts als "neue" Anspruchsgrundlage für atypische laufende Sonderbedarfe Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 zu beachten, wobei der Anspruch zum einheitli­chen Streitgegenstand der Regelleistung (§ 20 Abs. 1 SGB II) gehört.

Wenn sich die Kammer auch durchaus bewusst ist, dass zusätzliche Ansprüche im Hinblick auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen, unabweisbaren Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums angesichts der engen und strikten Tatbestandsvorausset­zungen nur in seltenen Fällen entstehen, sieht sie einen derartigen Bedarf im Fall der Übernahme der Schulwegkosten als gegeben an.

Das Existenzminimum beinhaltet auch die Teilnahmechance am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, wenngleich das BVerfG im Gegensatz zur Sicherung der physischen Exis­tenz als Basis jeder weiteren Existenz nur ein "Mindestmaß" an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben fordert.(BVerfG, Urteil vom 09.02.2010,aaO).

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass sich das Grundrecht auf Gewährleistung eines men­schenwürdigen Existenzminimums nur auf die Mittel bezieht, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Sie sieht insoweit das Teilhaberecht un­ter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Eine andere Sicht liefe auf ein Missverständnis von Freiheit hinaus, bei dem verkannt würde, dass sich die persönliche Freiheit auf die Dauer nicht losgelöst von Funktionsfähigkeit und Gleichgewicht des Ganzen verwirklichen lässt und dass ein unbe­grenztes subjektives Anspruchsdenken auf Kosten der Allgemeinheit unvereinbar mit dem Sozial­staatsgedanken ist. Das Grundgesetz hat - wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt im Zu­sammenhang mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit hervorgehoben hat (BVerfGE 4, 7(15);27, 344(351)) - die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Ge­meinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden. Der Einzelne muss sich daher diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetz­geber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein zumutbaren vorsieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt. Diese Erwägungen beanspruchen erst recht im Bereich staatlicher Teilhabegewährung Geltung (BVerfG, Urteil vom 18.7. 1972, Az 1BvL 32/70, 1Bvl25/71)

Allerdings kommt der Bildung nach Auffassung der Kammer zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehung und der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben eine Schlüs­selrolle zu, die ihre besondere Bedeutung für die persönliche Entwicklung des Einzelnen als auch der Gesellschaft unterstreicht. Dabei ist Bildung wie sie von gesellschaftlichen Gruppen definiert wird umfassend als Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertebewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens zu ver­stehen (vgl. hierzu Maße des Menschlichen, evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wis­senschaft- und Lerngesellschaft, Denkschrift des Rates der EKD, 2003). Sie ist unabdingbar für die individuelle Entwicklung im Sinne einer selbstverantwortlichen Selbstprüfung, die Selbstrefle­xion voraussetzt. Sie dient aber auch dem Gemeinwesen. Dieses wird erst als Bildungsgesell­schaft - in diesem präzisen und auf verantwortliche Mündigkeit gerichteten Sinn - selbstreflexiv und kann sich die Demokratie als partizipatorische Bürger - und Zivilgesellschaft gestalten.( vergl.Maße des Menschlichen, evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissenschaft- und Lerngesellschaft, Denkschrift des Rates der EKD, 2003).

Dieser gesellschaftlichen und individuellen Bedeutung entsprechend finden sich in den Länderge­setzen so z.B. § 1 des Schulgesetzes NRW als Ausfluss des in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz nor­mierten Grundrechts, Beruf und Ausbildungsstätte frei zu wählen, Hinweise darauf, dass jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und seines Ge­schlechts ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung hat. § 1 Abs. 2 Schulgesetz NRW ergänzt, dass der Zugang zur schulischen Bildung jeder Schülerin und jedem Schüler nach Lernbereitschaft und Leistungsfähigkeit offen steht.

Wenngleich sich bei Art. 12 Grundgesetz und den vorgenannten Schulgesetzen der Teilhabean­spruch vornehmlich auf den gleichberechtigten Zugang zur Bildungseinrichtung richtet (vergleiche zu Art. 12 Grundgesetz, BSG, Urteil vom 28.10.2009 Aktenzeichen B 14 AS 44/08 R), wäre die­ses Teilnahmerecht ohne die Gewährleistung der hierfür notwendigen finanziellen Rahmenbedin­gungen, wertlos und verkäme zur leeren Hülse. Durch viele Studien der letzten Jahre ist belegt, dass in der Bundesrepublik Deutschland Kinder und Jugendliche aus armen Haushalten nicht dieselben Chancen haben, am Bildungserfolg zu partizipieren wie Kinder und Jugendliche von besser situierten Eltern. So haben zum Beispiel Kinder aus der oberen Einkommensschicht bei gleichen kognitiven Fähigkeiten eine sechsmal höhere Chance, ein Gymnasium zu besuchen, als jene aus unteren bis mittleren Einkommensschichten (Bundestags-Drucksache 16/5253). Der Zu­gang zu Bildung ist eine zentrale Aufgabe des Einsatzes öffentlicher Mittel, weil dadurch die Zu­kunftsperspektiven des Landes maßgeblich beeinflusst werden. Dabei ist sicherzustellen, dass der Zugang zur Bildung nicht nur formal gleichberechtigt allen Kindern und Jugendlichen offen steht - wie dies beispielsweise in § 1 Abs. 2 Schulgesetz NRW zum Ausdruck kommt - sondern dass auch die materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Angebote tatsächlich be­anspruchen zu können (Bundestags-Drucksache 16/4486). Ausgehend von diesen Vorgaben ist der Einsatz öffentlicher Mittel zur Übernahme der Schülerbeförderungskosten in der Situation der Kläger zu 1) und 2) geboten, um ihre Teilnahmechancen am Bildungserfolg zu fördern und somit ihre Teilnahmemöglichkeit am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zu verbes­sern. Der mit der Beförderung zur Schule verbundene Bedarf ist nach Auffassung der Kammer auch unabweisbar, um die Teilnahmechancen der Kläger zu 1) und 2) als Mitglieder eines Haus­halts von SGB II-Leistungsempfängern angemessen zu fördern. Der Kammer ist dabei durchaus bewusst, dass durch die verbesserten finanzielle Rahmenbedingungen allein eine Chancen­gleichheit nicht erreicht werden kann,da hier auch andere, nicht materielle Faktoren die Teilha­bemöglichkeit erschweren. Gleichwohl werden hierdurch die Chancen am Bildungserfolg zu parti­zipieren gegenüber nicht im SGBII-Leistungsbezug Stehenden zumindest merklich verbessert. Im Hinblick auf die Übernahme der Schülerbeförderungskosten kann letztlich dahinstehen, ob die von der Stadt T zugrunde gelegte Entfernung zum Schulort mit 4,8 km zutreffend ist oder ob die Gefährdungslage hier einen anderen Schulweg erforderlich macht. Selbst ein Schulweg von 4,8 km, der somit nur unwesentlich, nämlich 200 m, von der Vorgabe des § 5 Abs. 2 Schülerfahrkos­tenverordnung (SchfkVO) -und damit von einem Bewilligungsanspruch nach dieser VO - abweicht , stellt hier eine Entfernung dar, die einen unabweisbaren Bedarf begründet. Das Gericht hat da­bei die aktuellen Gegebenheiten der Schülerbeförderung zeit- und realitätsgerecht gewürdigt. Da­nach werden nach allgemeiner Lebenserfahrung Wegstrecken dieser Größenordnung anders als früher in der Regel auch von Schülern aus einkommensschwächeren Bevölkerungskreisen nicht mehr zu Fuß oder per Fahrrad bewältigt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass diese Weg­strecken nicht nur ein-/zweimal wöchentlich sondern an den Schultagen regelmäßig zurückgelegt werden müssen. Zudem ist man in verstärktem Maße Witterungseinflüssen ausgesetzt ohne ih­nen entgehen zu können, da der Unterricht zu einer festgesetzten Zeit beginnt. Die mit der Witte­rung als auch die mit dem Fußweg oder der Fahrradfahrt verbundene Belastungen sind geeignet sich negativ auf den schulischen Erfolg auszuwirken und damit die Teilhabechancen am Bil­dungserfolg zu verringern. Bei diesem Sachverhalt ist es nicht unangemessen öffentliche Ver­kehrsmittel in Anspruch zu nehmen. Überdies können die mit der Nutzung öffentlicher Verkehrs­mittel verbundene Kosten nicht so gut situierte Eltern davon abhalten, ihre Kinder die gymnasiale Oberstufe besuchen zu lassen, da sie sich den finanziellen Belastungen des Schulbesuchs, die sich letztlich nicht nur aber auch in den Beförderungskosten konkretisieren, nicht gewachsen füh­len. Der sich aus den Beförderungskosten ergebende Bedarf in Höhe von ca. 80 EUR pro Monat ist nach Auffassung der Kammer zudem so hoch, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürfti­gen gewährten Leistungen das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem möglichen Einwand, die Schülerbeförde­rung sei grundsätzlich in landesrechtlichen Vorschriften - hier der Schülerfahrkostenverord­nung-SchfVO-geregelt, die nicht durch Sozialgerichtsentscheidung quasi außer Kraft gesetzt werden dürften, indem ein Sozialleistungsträger ungeachtet der bestehenden landesrechtlichen Gesetze zu einer Kostentragung verpflichtet werde. Es ist nämlich zu beachten, dass es sich bei dem SGB II und SGB XII um Bundesgesetze handelt, die entgegenstehenden landesgesetzlichen Regelun­gen über die Kosten der Schülerbeförderung als Sozialleistung vorgehen würden. Die Normset­zungsbefugnis über die Grundsicherung für Arbeitssuchende und über die Sozialhilfe obliegen nicht den einzelnen Bundesländern. Wenn der Bundesgesetzgeber eine entsprechende Rege­lungskompetenz an die Länder delegieren wollte, wäre dies im Rahmen einer Öffnungsklausel geschehen (vgl. § 70 SGB II). Das ist jedoch für die Übernahme von Schülerbeförderungskosten als Hilfestellung in außergewöhnlichen Lebenssituationen nicht feststellbar.

Soweit die Kläger für Zeiten vor Februar 2010 die Übernahme der Schülerfahrtkosten begehren, ist die Klage unbegründet.

Für die von den Klägern begehrten Leistungen der Schülerbeförderung fehlt es im System der Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB II an einer Anspruchsgrundlage (BSG Urteil vom 28.10.2009, Az. B 14 AS 44/08 R). Zutreffend weist das Bundessozialgericht darauf hin, dass Fahrtkosten zur Schule weder als Mehrbedarf nach § 21 SGB II, noch als Sonderbedarf nach § 23 Abs. 3 SGB II vorgesehen sind. Eine abweichende Festsetzung der pauschalierten Re­gelleistungen nach § 20 SGB II wegen atypischer Bedarfslagen, wie sie für die Hilfen zum Le­bensunterhalt bzw. für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 3. und 4. Kapitel des Zwölften Buchs die Normen des § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II ermöglicht, sieht das Zweite Buch nicht vor (vgl. BSGE 97, 242). Klargestellt hat der Gesetzgeber dies mit der Einfüh­rung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706). Danach decken die nach dem SGB II vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festle­gung der Bedarfe ist ausgeschlossen. Bewusst hat der Gesetzgeber eine dem § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII entsprechende Vorschrift nicht geschaffen (vgl. Bundestags-Drucksache 16/1696 S. 27:" Die nach dem Recht der Sozialhilfe vorgesehene Möglichkeit, Bedarfe abweichend festzulegen, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittli­chen Bedarf abweicht (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II), ist nach dem System der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht vorgesehen.").

Die Kläger können die Übernahme der Fahrtkosten ebenso wenig von der Beigeladenen in deren Funktion als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) nach § 73 SGB XII ver­langen. Danach können Leistungen (der Sozialhilfe) auch in sonstigen Lebenslagen erbracht wer­den, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (Satz 1), wobei die Leistungen als Bei­hilfe oder als Darlehen erbracht werden können. Es fehlt insoweit eine besondere atypische Le­benslage, die eine Nähe zu den anderen im 5. bis 9. Kapitel des Zwölften Buchs geregelten Be­darfslagen, den unter Geltung des BSHG so bezeichneten "Hilfen in besonderen Lebenslagen" aufzuweisen hat (BSGE 97, 242 = SozR 4 - 4200 § 20 Nr. 1, jeweils Rdnr. 21 ff.; BSG Urteil vom 28.10.2009, B 14 AS 44/08 R).

Nach alledem war der Klage im tenorierten Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG. Sie entspricht dem Verhältnis von Klageer­folg zur geltend gemachten Gesamtforderung.